Ausstellung Luzerner Kantonalbank

Die Ausstellung der Künstlerin Rebekka Steiger und des Künstlers Sven Egert dauert vom 2. November bis 1. Dezember 2017.

 

Luzerner Kantonalbank AG
Pilatusstrasse 12
Postfach
CH-6002 Luzern

 

Öffnungszeiten:
Montag bis Mittwoch und Freitag, 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr Donnerstag, 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr

 

Vernissage-Rede für LUKB: 2.11.2017 – Rebekka Steiger und Sven Egert

Verehrte Gäste

Liebe Rebekka Steiger, lieber Sven Egert

Auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen zur Vernissage in der Luzerner Kantonalbank. Schon seit Monaten freut sich die gesamte Kunstkommission auf die Werke, die Eure Ateliers verlassen durften und nun ihre Wirkung in den weiten Räumen der Bank vollumfänglich entfalten können. Einige von ihnen sind noch so neu, dass sie uns hier mit ihrem speziellen Geruch von Farbe und Eitempera auch noch das spezielle Flair Eurer Ateliers bieten.

Schon Dutzendfach prophezeite die Kunstwelt, dass die Malerei nun ihr Ende erreicht habe. Diese Worte gebrauchte ich bereits bei der letzten Vernissage. Doch kurioserweise entstand nach dieser Prophezeiung erneut „eine Malerei nach dem Ende der Malerei“, wie der Künstler Gerhard Richter einmal festhielt und ich bin mir dessen sicher, dass solche prophetischen Äusserungen auch weiterhin gemacht werden. So bin ich als Kunsthistorikerin wieder einmal sehr glücklich, dass mit Euren Werken das vielbeschworene Ende der Malerei abermals nicht in Sicht ist. Stattdessen gebärdet sich dieser Kunstbereich quicklebendig wie eh und je und wir dürfen uns freuen, dass es diese „unendliche Geschichte“ von der „Malerei nach dem Ende der Malerei“ so lange geben wird, wie sich Kunstschaffende wie Rebekka Steiger und Sven Egert auf den Weg machen, und sich hierbei auf die Stärken der Kunst, auf die Stärken der Malerei besinnen, indem sie unermüdlich wie unbeirrt die Grenzen des Malbaren erforschen und ausloten, indem sie neuen Kombinationen aus Farben, Formen, Materialien und Strukturen nachgehen und ihnen Raum geben. Und dabei stets an die Macht der Bilder glauben, weil Ihr beide „das Malen“ respektive das Sprühen, um auch diese Technik von Sven Egert mit einzubeziehen, „… ganz einfach für etwas ganz und gar Lebensnotwendiges“ haltet, um noch einmal Gerhard Richter zu zitieren.

Als Kunstkommission haben wir uns verpflichtet, neue Talente aufzuspüren, junge Kunstschaffende zu entdecken und zu fördern. Und natürlich hinterfragen wir uns stets: haben wir eine gute Wahl getroffen? Geben wir mit den hier gezeigten Werken genügend nachhaltige Impulse und Anreize für Galerien, Sammler und Museen? Und was macht die uralte Kunst der Malerei in Bezug auf Werke von Rebekka Steiger und Sven Egert eigentlich so faszinierend? Ist es ihre Direktheit? Ihre Handwerklichkeit? Ihre Motivik? Ihre Kombinationsfreudigkeit?

Ich folge bei der Beantwortung dieser Fragen zwei klugen Antworten der Journalistin Sabine Vogel, die im Juli 2016 in ihrem Artikel „Was ist gute Malerei“ folgende Kriterien aufstellte: „Gute Malerei beginnt bei spannungsvollen Bildfindungen, die sich nicht mit einem 1:1-Abbilden der sichtbaren Wirklichkeit begnügen. Gute Malerei schafft einen (Bild-)Raum, den wir ähnlich intensiv erleben können wie unsere physische Wirklichkeit.“ (Sabine Vogel, Artikel in: „Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.07.2016).

Nähern wir uns mit diesen Aussagen zunächst dem Werk von Rebekka Steiger: Riesenhafte Formate von fast zweieinhalb auf zwei Metern, jedoch auch kleinere Werke, ziehen uns geheimnisvoll-magisch an, lassen uns neugierig eintauchen in Welten, die sich nicht im gleichen Moment vor unseren Augen glasklar erschliessen. Sondern uns stattdessen auffordern, Zeit in ein geduldiges Schauen zu investieren, Zeit, die benötigt wird für ein erkennendes Sehen, für ein optisches Abtasten der Bildwelten, für ein virtuelles Hinabgleiten in neue Räume und Tiefen, die sich hinter oder vor wabernden Dunstschleiern, Wolkenmassen oder Vernebelungen, Aufhellungen und Auflösungen verbergen, aus denen schemenhaft, dann wieder farblich akzentuiert Figuren, Reiter, Tiere oder Naturelemente auftauchen. Wohin werden wir entführt? Was sind das für Landschaftsräume, in denen Ort und Zeit keine Rolle spielen und bisweilen eine Orientierung unmöglich ist? Wer sind diese Menschen, die als Farbflecken erkennbar, teilweise mit der Umgebung verschmelzen, teilweise sich davon abheben? Was spielen sich hier für archaische Geschichten ab, die dem kollektiven Ur-Gedächtnis der Menschheit zu entsteigen scheinen?

„Meine Hauptmotivation für die Malerei ist das Eintauchen in meine Bildwelt“ (Master-Arbeit) erzählt mir Rebekka Steiger in einem Interview. Ein Eintauchen, das sie als emotionaler Mensch mit enormem Bewegungsdrang gerade in den grossen Bild-Dimensionen voll und ganz auskosten kann. Erst recht nach einer angedachten Tanz-Ausbildung, die sie aus gesundheitlichen Gründen jedoch aufgeben musste. Denn im Tanz wie in der Malerei, so Rebekkas Beschreibung, „muss man physisch in den Raum hinein, man verlängert sich ja in alle Ecken, und wird von der Farbe, vom ganzen Bild körperlich spürbar hineingezogen…“. Dieses „Sich-in-den-Raum-Ausdehnen“, aber auch ein ständiges Experimentieren, Ausprobieren, eine sogenannte „trial and error“-Strategie fasziniere und motiviere sie beim Malen ebenso wie das plötzliche Auftauchen von Motiven, die ihrem Unterbewusstsein als Amor, Reiter, Ritter oder eben als Dinosaurier entspringen… Eine Art Fantasy-Welt, so ihre Bezeichnung, in die sie schon als Jugendliche über das Lesen verschwand und in entsprechenden Büchern alles aufsog, was dort „kreuchte und fleuchte“.

Diese Neugierde an Geschichten stillt sie auch weiterhin mit Büchern aus Brockenhäusern und findet in alten Fotografien Inspirationsquellen, wie beispielsweise für Amor approximately, einer weiblichen, gut ausgerüsteten Amor-ähnlichen Figur, die uns selbstbewusst und unverrückbar gegenübersteht. Ob ihr Pfeil wohl schon ins Schwarze getroffen hat? Auf einer Magnum-Fotografie von 1960, die die Künstlerin inspirierte, kommen keine Zweifel auf, dass die dort direkt in die Kamera blickenden Frauen des exklusiven, 1781 gegründeten britischen Bogenschiessvereins „Royal Toxophilite“ das zielsichere Treffen beherrschen. Bei Rebekka Steigers „Amor“ bleibt dies ebenso offen wie spannend. Wie würden Sie, verehrte Gäste, dieses Bild, das im 2. UG hängt, weiterdenken?

Genügend Raum für eigene Assoziationen lässt uns auch das Bild Nous eûmes des orages, dessen Titel einem Jacques-Brel-Song entstammt. Konfrontiert werden wir mit einer stehenden weiblichen Figur in einem Boot, das – umgeben von Wasser- und Nebelmassen – nicht sehr stabil erscheint. Ihr Blick aus einem totenschädel-ähnlichen Gesicht fixiert uns eindringlich, starr. Woher kommt diese Frau, welches Schicksal begleitet sie, was ist ihre Aufgabe, ihr Ziel in dieser dramatisch-düsteren Szenerie, in der das mit Wasser sich füllende und vielleicht bald sinkende Boot vis-à-vis eines Wasserfalls in einem horizontlosen blauen Bildraum treibt, durchbrochen von einigen blutroten, vertikal gehaltenen Streifen und einem rötlichen Fleck unterhalb der Bootsspitze? Diesmal ausgehend von einer Fotografie von Edouard Boubat, einem 1999 verstorbenen französischen Fotografen und Fotojournalisten, der eine im Boot stehende lächelnde Frau inmitten des Schilf-Ufers ablichtete, durchlief dieses Sujet bei Rebekka Steiger mehrere Zwischenstadien, einschliesslich der Reminiszenz an stürmisch-atmosphärische Malaufträge eines William Turner. Dieser Prozess von Transformation, Veränderung, Reflektion und Umwandlung spontan gewählter direkter Vorbilder in indirekte, ist ein wichtiges Merkmal ihres Schaffens. Und so ist sie beim Experimentieren stets offen, um „einer unerwarteten Abzweigung zu folgen“, die ein Motiv einschlagen könnte.

Ungeplantes oder Zufälliges wird aufgegriffen und weiterentwickelt, wobei die Drucktechnik der Monotypie für Rebekka Steiger eine bedeutsame Rolle einnimmt – einige Monotypien sehen Sie im Treppenabgang zum 2. Untergeschoss. Dieses Abklatsch-Verfahren eines zuvor auf die Druckplatte gemalten Sujets, das je nach Druck beim Ausrollen auf das Papier, je nach Beschaffenheit der mal flüssiger, mal trockener aufgetragenen Farbe immer wieder neue Resultate und Möglichkeiten etwa Undeutlichkeit, Unschärfe, Unpräzises hervorbringt, beeinflusst Rebekka Steigers Malprozess auf der grossen Leinwand, indem sie abstrahierte Farb-Räume schafft.

Betrachten wir jedoch diese farbigen Bild-Räume nicht als Kulissen, sondern als eigenständiges Motiv, aus dem sich dann wiederum das übrige Handlungsgeschehen herauslöst oder -schält, mal spannungsgeladen oder dramatisch, mal unerwartet oder humorvoll (ich denke da an das grossformatige Werk Of Dinosaurs and Men). Rebekka Steiger führt uns mit ihrer Kunst in unendliche Geschichten, die mit der Gegenwart nicht synchron sind und lädt uns ein, die emotionale Situation dieser Begebenheiten auszukosten und gedanklich zu erweitern.

Nicht gleich offensichtlich sind auch Sven Egerts farblich reduzierte Bild-Welten, wo sich zersplitterte, zerfaserte, verzerrte, streifenförmige oder amorphe, wolkenartige Form-Gebilde ausdehnen, überlagern, teilweise abdecken und in ihrer Schichtung zu kontrast- wie spannungsreichen Gegensätzen unterschiedlicher Muster und Strukturen führen. Dabei jedoch nie das Gesetz von Balance, Harmonie und Ausgewogenheit verletzen. Erst recht nicht, wenn der Künstler Alltagsobjekte wie Kunststoff- oder Fussmatten, Styropor-Blöcke oder Plakatteile in seine Arbeit einbezieht und in Kombination mit Malerei und Sprühtechnik, die einen reizvollen Material-Kontrast ergeben, zum Anfassen und Abtasten verlockende Kunstwerke schafft. Ein vergnügliches wie optisch irritierendes Wahrnehmungsempfinden breitet sich vor unseren Augen aus und lässt uns rätseln: sind Digital Garden oder Pyxis, Unicorn und Lynx gemalt oder mit dem Airbrush-Gerät aufgesprüht? Sven Egerts Arbeiten laden zum aktiven Betrachten aus der Distanz UND aus der Nähe ein. Erst dann offenbart sich ihre gesamte Raffinesse im Mix der Materialien und zugleich in deren Kontrast, der zwischen realer, dreidimensionaler Objektstruktur der Matten und den gesprühten Mustern ein farbliches wie materielles Hin und Her zwischen Bildvorder- und -hintergrund entstehen lässt. Dieser Technik einer Assemblage – also das Vermischen von dreidimensionalen Elementen mit der Malerei – unterliegen auch Das Modell und Neve Plast. Letzteres verdeutlicht schon im Titel, dass hier das synthetische Material namens Neveplast zum Einsatz kam, das 1998 in Italien erfunden wurde und seitdem aufgrund seiner hervorragenden Gleiteigenschaften auf Langlauf- und Snowboardpisten für die Winter- wie Sommersaison eingesetzt weltweit Erfolge feiert.

Solchen Materialien ist Sven Egert ständig auf der Spur, hält Beobachtungen mit seiner Kamera fest und setzt die gesammelten Eindrücke Schritt für Schritt im Atelier um. Warum er sich gerade für alltägliche Elemente interessiert, hängt mit seinen allerersten Erfahrungen als Graffiti-Sprayer bei seinen damals noch illegalen Sprüh-Aktionen in Chur zusammen.

Damals bearbeitete er im jungen Alter von 13 Jahren mit einer Gruppe älterer Sprayer vorwiegend alte graue Betonmauern an der Bahnlinie. Schon bald erfolgte ein Wechsel zum Airbrush, um zu Hause auf kleineren Formaten seine Kreativität weiter ausleben zu können und mündete schliesslich im künstlerischen Umgang mit Spray, Acrylfarbe und zweckentfremdeten Materialien. Seine Ideen findet er überall, „nichts ist einfacher, als Ideen zu bekommen. Wir sind umgeben davon. … ich notiere sie, damit ich sie nicht vergesse“, verrät er in einem Interview. Und dann probiert er einfach aus, erhält durch Fotografien Assoziationen und Impulse, zerlegt und isoliert diese ebenso wie grafische Gestaltungen, aber auch Zeichen-Fundstücke aus dem Alltag am Computer so lange in Bestandteile, bis er eine Form entdeckt, die wiederum Zusammenhänge mit anderen Mustern einhergeht. Erst dann setzt Sven Egert das Gefundene auf der Leinwand, auf den Karton zu präzis gesetzten Formen um und fügt diesem Work in Progress solange Schicht für Schicht hinzu, bis sein Bild zu leben beginnt. Inspirationsquelle für die Serie Florco Classic I-III zum Beispiel, die durch Sprühfarbe auf Acryl eine auffällige Streifen-Wirkung mit dreidimensionalem Effekt wiedergibt, waren in der Tat Fotografien von Wellblech-Wänden, die der Künstler auf Baustellen in Südamerika zu finden sind.

Dass mitunter Wochen, gar Monate vergehen können, in denen einzelne Bildteile wieder abgeklebt und übermalt werden, bis der künstlerische Prozess abgeschlossen ist, wird leicht vorstellbar, wenn Sie im 2. UG Dreamcatcher näher anschauen: hier wurde die erste Schicht relativ frei auf die Leinwand gelegt, danach das gesamte Bild mit einem speziellen Scotch abgeklebt, aus dem mit Hilfe eines Schneidegeräts, dem Cutter, direkt auf der Leinwand die ersten Formschablonen herausgeschnitten und mit einer rosafarbenen Malschicht bedeckt wurden. Erneut wurde die Scotch-Schicht entfernt und gab den Weg frei für die letzte gemalte Farbschicht in Grau. In How Blue links gegenüber lässt sich sehr gut beobachten, wie sich gemalte Formpartien gegenüber gesprühten verhalten, die anhand ihrer weich auslaufenden Konturen und speziellen Farbpigmentierung den Sprühvorgang verraten.

Sven Egerts experimentelle Lust an der Verwendung und Verfremdung von Alltagsmaterialien scheint grenzenlos zu sein: anstelle einer Leinwand wurde bei Untitled der hellblaue Modellbaublock aus Harz-Styropor mit Scotch abgeklebt und die darauf gezeichneten Formen ausgeschnitten. Den malerischen Effekt allerdings erzielte er diesmal nicht mit Pinsel oder Airbrusher, sondern mit einer aufgesprühten Nitro-Lösung (… von Hornbach), die sich in das Styropor ätzend hineinfrass und somit für Hell-Dunkel-Spuren sorgt.

Doch aller technischen Brillanz zum Trotz regen auch Sven Egerts Bild-Räume mit ihren wundervoll farblich ausbalancierten Abstraktionen und Formationen zu vielfältigen Assoziationen an. Und ich ermuntere Sie alle, begeben Sie sich auf Gedanken-Reisen – denn für die gewissenhaft arbeitenden Künstler und Künstlerinnen dieser Welt gibt es nichts Schöneres als Menschen, die an einem sie berührenden, anregenden oder aufregenden Bild hängen bleiben, und dieses weiterdenken.

Liebe Rebekka, lieber Sven: Euch beiden ist es meisterhaft gelungen, neuartige Bild-Räume zu schaffen, in denen ihr etwas eingefangen habt, das wir in dieser Art noch nicht kennen: Bild-Räume, die eindringlich zur Frage auffordern: Was findet für uns persönlich im Bild statt, das wir „ähnlich intensiv erleben können wie unsere physische Wirklichkeit“.

Euch beiden wünsche ich eine erfolgreiche Ausstellung, weiterhin eine unbändige Schaffenslust und Ihnen, verehrte Gäste, einen anregenden und diskussionsfreudigen Rundgang, den wir mit einem Sofa-Gespräch und persönlichen Künstlerbegegnungen im 2. UG ergänzen werden.

©Martina Kral, November 2017